Der Freitagserfahrungsbericht


7:30h. Mein Wecker klingelt. Ich schalte ihn aus, stehe aber noch nicht auf. „Denn ich werde ja gleich von selbst aufwachen“. Diese Theorie funktioniert eigentlich ganz gut. 10 Minuten später wache ich von selbst auf und bin dann wirklich bereit aufzustehen. Blöd ist nur, dass sich mit Fortschreiten der Woche, die 10 Minuten stetig verlängern. 15 Minuten am Dienstag, 20 Minuten am Mittwoch, 25 Minuten am Donnerstag und am Freitag 30 Minuten oder mehr. Also kommt es häufiger vor, dass es an Freitagen etwas schneller gehen muss.

In der Schule heißt es dann ersteinmal Morning Class bei Viviana. Gleichzusetzen mit: 120 Sit Ups und 30 Liegestützen am Ende der Stunde. Davor denke ich mir immer: Wie soll das gehen? Ich bin hundemüde, kaum aus dem Bett gekommen, es ist erst halb neun und ich habe eine Woche harten Trainings hinter mir!

Aber: Es geht. Jeden Freitag wachse ich über mich selbst hinaus. Eigentlich ein gutes Gefühl. Und vor allem bin ich danach richtig wach und gehe mit Schwung in die Ballettstunde. Ich stehe an der Stange, fühle mich gut – fühle mich „balletös“. Ich spanne jeden einzelnen Muskel meines Körpers an. Stehe aufrecht, kneife die Pobacken zusammen, drehe meine Beine „auswärts“ und versuche mein Gesicht trotz immenser Anstrengung nicht zu verkrampfen. Ich sehe es förmlich vor mir, wie meine Beine grazil den Boden verlassen und in einem fast 180 Grad Winkel zu meinem Körper in der Luft schweben. Ich sehe, wie ich heute ohne Probleme eine dreifache Piruette drehen werde und dass ich mindestens einen Meter über dem Boden einen Spagat durch die Diagonale springen werde.

Doch dann, schaue ich in den Spiegel und ich sehe……..naja, nicht gerade das, was ich mir gerade ausgemalt hatte.

Aber gut, was soll ich denn erwarten. Richtig angefangen zu Tanzen, habe ich schließlich erst hier in der Ausbildung. Mit drei ääääähhhhhhhhh einundzwanzig Jahren. Ist ja klar, dass ich meine Beine noch nicht so hoch stemmen kann, wie eine Ballerina. Ich mach das ja erst seit zwei Jahren und die Ballerinas machen das, seit sie vier sind. Wenn die 21 sind, haben sie also schon 17 Jahre trainiert. 180 Grad durch 17. Das sind 11 Grad pro Jahr. Also kann man in zwei Jahren Training, seine Beine 22 Grad hoch halten. Und ich kann sie schon 90 Grad hoch halten. Dann bin ich ja echt gut dabei.

Nach Ballett haben wir am Freitag immer Steppen. Eine sehr laute Stunde,. Es gibt sogar Mitschüler, die sich vor der Stunde Watte in die Ohren stopfen. Irgendwie auch verständlich, wenn man mal überlegt: 14 energetisch geladene, dem jugendlichen Übermut folgende Musicalsschüler trampeln mit metallischen Platten an ihren Ballen und Fersen – gleichzeitig – auf dem Boden herum. Zu einer Musik, die so laut sein muss, das die Schüler sie noch hören können. An dieser Stelle möchte ich eine kleine Gedenkminute für die Mitarbeiter von Stage Entertainment einschiebn, deren Büros sich unter den Steppräumen befinden.

……

Genug des Schweigens. Am Nachmittag gibt’s nämlich ersteinmal Sprecherziehung mit Marianne Bernhardt. Meist steht Phonetik auf der Tagesordnung. Ein Beispiel für „PF“

Der pfälzische Pfalzgraf ritt Pfingsten auf Pferden durch Pfützen nach Pforzheim.“

Ein halbe Stunde voll von neuen Erfahrungen mit der deutschen Sprache.

Natürlich gehört zu einer Musicalausbildung auch Singen. Und das tue im am Freitag im Fach Repertoire. Gemeinsam mit einem Gesangslehrer und einem Pianisten erarbeiten die verschiedensten Lieder.

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Es gibt ja Leute, die behaupten, die „Bildung“ von Musicalstudenten komme zu kurz. Gut, vielleicht habe ich mittlerweile vergessen, wie Integralrechnung funktioniert – oder vielleicht wusste ich nie, dass es sowas gibt. Aber gehört Integralrechnung zur Allgemeinbildung? Das möchte ich bezweifeln. Was jedoch – meiner Meinung nach – zur Allgemeinbildung gehört, ist Geschichte. Und genau die diskutieren wir im Fach Theater- und Musicalgeschichte. Denn schließlich ist jedes einzelne Theaterstück und jedes Musical innerhalb eines gesellschaftlichen Kontextes entstanden über den es sich zu sprechen lohnt.

Eine Musicalsausbildung ist also allumfassend. Körper, Kopf und Geist. Richtig, der Geist, oder die Seele. Die behandeln wir am Freitag in Yoga. Denn das ganze Training ist natürlich sehr nervenaufreibend und irgendwie muss man ja dann auch wieder runterkommen. Nicht selten passiert es, dass man nachts im Schlaf die ganze Zeit Choreografien durchgeht, Textfetzen im Kopf umherschwirren oder dass man plötzlich Angst vor der nächsten Prüfung oder vor einem Vorsprechen bekommt. Yoga werden uns Mittel an die Hand gegeben, um auch mal abzuschalten und vor allem mit Aufregung umgehen zu können.

Und dann, nach Yoga, um 20:00h, ist mein Freitag zu Ende. Jeder „normale“ Student würde sich nun in seine schönen Ausgehklamotten werfen und einen drauf machen, erst nach Hause kommen, wenn die Sonne aufgeht und den ganzen Samstag schlafen. Aber nicht wir Schüler der Joop van den Ende Academy. Wir gehen nach Hause, waschen unsere verschwitzten Tanzsachen und gehen früh zu Bett. Denn schließlich stehen wir auch samstags wie trockene Schwämme in der Schule und versuchen alles in uns aufzusaugen, was wir hier erfahren dürfen. Denn am Samstag ist Workshop-Tag. Jeden Samstag etwas anderes, neues, aufregendes. Aber dazu ein andermal, im Samstagserfahrungsbericht.

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