Ein Boxer aus St. Pauli – Eine Kiez-Revue


Wenige Tage bevor wir das erste mal Rocky bestaunen durften, suchten wir, das erste Semester, das St. Pauli Theater einige Hausnummern vom Operettenhaus entfernt auf, um uns mit deren Stück „Ricky“ auf die Show am darauffolgenden Freitag einzustimmen.

 

Als das Thema von unabhängigen Theatern und Vorstellungen in Hamburg im Theatergeschichtskurs aufkam, gab uns unsere Dozentin diesen Geheimtipp. Trotz des eh schon langen Schultags entschieden wir uns einheitlich nach dem Unterricht gen St. Pauli zu pilgern. Was uns wirklich erwarten würde wussten wir nicht: Das Plakat ist eine Anlehnung am Rocky-Musical und, dass es „leichte Musical-Unterhaltung“ versprechen würde wussten wir schon. Sollte es etwa Karikatur des Rocky-Musicals sein… !?

Als der Vorhang sich vor dem gemütlichen Zuschauerraum lichtet, erblicken wir eine typische Kiez – Szenerie: „Zur Ritze“. Die anscheinende Inhaberin dieser „gastronomischen“ Einrichtung beginnt den ersten hauchigen, lasziven Song und überzeugt durch tadellosen Stimmeinsatz und den perfekten Einstieg in den Abend. Sofort zieht einen auch die Live Band in ihren Bann. Durch das Stück hindurch gibt es keine wirklich tragende Handlung und dadurch auch keinen Bogen, der sich spannt. Trotzdem lernt man die wichtigen Charakter von Song zu Song oder Text besser kennen oder es werden einem neue, mehr oder weniger bizarre Kiez – Gänger vorgestellt. Die spießige Strebertochter, die mit ihrer Mutter, der Inhaberin, auf den ersten Blick so rein gar nichts gemeinsam hat verblüfft mit den Elementen der Chemie in einem urkomischen Song, während ihre Mutter uns von gescheiterten Liebschaften berichtet. Dann gibt es den Möchtegern-Boxer, dessen Ego größer ist, als jeder Muskel und den verlassenen Alkoholiker-Philosophen, der eigentlich das Klo putzen soll, aber uns mit seiner Poesie à la „das Leben ist wie…“ den Abend versüßt. Der eigentliche Boxer im realistischen Sinne ist ein gestandener Mann, der mal vom Kampfsport schwärmt oder den Feldwebel mimt und im Finale eine zentrale Rolle spielt. Zwischendurch tauchen einzeln 3 verschiedene weitere „Stammgäste“ auf, die alle vom selben Schauspieler eindrucksvoll unterschiedlich verkörpert werden In diesem Zusammenhang gibt es in dem ganzen Wirrwarr auch noch einen überraschenden Mord, der weder dargestellt noch ernsthaft verfolgt wird, aber nichtsdestotrotz einen bleibenden Eindruck und Schock hinterlässt. Die wohl augenscheinlich wichtigste Person ist Ricky, der einen Möchtegern-Rocker mit harter Schale, weichem Kern und Sprachfehler darstellt. Passend zum Finale kommt auch die Liebe ins Spiel und es findet sich ein junges Pärchen. Nun geht es zu einer der wenigen Parallelen zum Namensvetter, dem „Rocky-Musical“. Ein finaler Kampf, in dem die Liebe im Vordergrund steht?! Hmm… das kennt man irgendwoher! Trotzdem überzeugt die Umsetzung durch ganz eigenen Witz & Charme und ein unvorhersehbares, grandioses Ende. Und selbst nach dem offiziellen Ende begeistern die Darsteller mit ihren etlichen Zugaben das Publikum.

 

„Ricky-ein Boxer aus St. Pauli“ ist eine Kiez-Revue, die es lohnt anzuschauen, falls es eine Wiederaufnahme geben sollte. Die Kombination mit dem Rocky-Musical in der selben Woche habe ich persönlich als sehr angenehm empfunden, weil es eine Mischung aus zwei völlig unterschiedlichen Richtungen bietet und zusammen ein wohl wirklich ausgewogenes Programm abgibt. Klar, kann Ricky das Operettenhaus in seiner bombastischen Darstellung der Show nicht toppen, aber überzeugt gerade durch den Charme eines kleineren Theaters. Und der überraschend gute Ensemble- und Einzelgesang hat einen aus dem Sessel. Nichtsdestotrotz haben „Rocky“ und „Ricky“ nicht viel gemeinsam. Die Vermarktung ist eine clevere Idee, die auch einen gewissen Reiz darstellt, sich das Stück anzuschauen, aber bei der Ähnlichkeit der Werbung, dem Hauch von Boxen und dem Finalkampf in kleinerem Rahmen bleibt es dann auch in Bezug auf Rocky-Anspielungen. Eine Karikatur von dem neuen Hit-Musical ist es also keinesfalls. Eine gute Empfehlung für einen locker leichten Abend mit viel Spaß ist es dennoch allemal!

 

Euer Dominik

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