Vier Menschen sitzen in einem Raum und strecken sich ihre Zungen entgegen.
Modern. Warm up, ganz normal – ein bißchen Pick ups hier, ein bißchen Pliés da, zwischendrin ein paar Tilts, Drehungen, Contractions und andere Verrenkungen. Nach dem Warm up kamen die Cross- the-Floors. Meine „Tanz-Fachsprache“ lässt zu wünschen übrig, trotzdem werde ich mich in einer Beschreibung versuchen:
Der erste Cross-the-Floor war für alle gleich: Ein Schritt mit rechts nach vorne, sodass man mit dem Rücken zum Publikum steht. Der rechte Arm fährt sich dabei in Fahrtrichtung aus und versucht irgendetwas Imagineres – das sich der Musicalschüler vorstellen muss – zu erreichen. Das nennt sich dann „Reach“ habe ich gelernt. So, jetzt wird’s kompliziert. Nach dem „Reach“ überholt das linke Bein das rechte Bein in einem kleinen Hops, das rechte Bein wird nachgestellt. Das ganze passiert in einer 270° Drehung Richtung Publikum. Jetzt sollte man in einer großen vierten Position stehen und seine beiden Arme vor dem Körper ausfahren. Die Hüfte wird dabei durch die Kraft der Bauchmuskeln nach vorne gedrückt, der Bauch zieht sich also nach innen, jedoch soll der Oberkörper möglichst aufrecht bleiben. Das ganze nennt sich dann „low conctraction“. In dieser Position angekommen, geht’s dann auch gleich wieder von vorne los. Das rechte Bein kreuzt über vorne das linke, sodass man wieder in die Ausgangsposition, mit Rücken zum Publikum und „Reach“ landet.
Verstanden? Gut. Je nach Tanzlevel wurden zu diesem Basis-Cross-the-Floor noch weitere Tanzelemente hinzugefügt, auf die ich jetzt jedoch aus Platzgründen nicht näher eingehen möchte – an dieser Stelle spüre ich förmlich die Erleichterung des Lesers, von meiner ganz zu schweigen.
Vier Menschen sind in einem Raum und lassen ihre Zungen in rasendem Tempo wie ein Pendel von links nach rechts schlackern.
Nach Modern kam Ballett. Auch in diesem Fall erspare ich den Lesern eine ausführliche Beschreibung der Übungen. Viel interessanter für den Leihen ist doch die Gemütslage des Musicalschülers während einer Ballettstunde. Aus diesem Grunde ein paar Ausschnitte meines Innenlebens zu Beginn, in der Mitte und am Ende einer Ballettstunde – Auch genauer zu beschreiben durch: Übungen an der Stange, Übungen in der Mitte und Sprünge.
Beginn der Stangenübungen. Heute ist ein guter Tag, ich fühl mich gut. Ballett wird toll. Ich freu mich. Shit, sie erklärt schon. Demi Plié mit Arm bis oben…hab ich, demi plié, arm wieder runter, ahja, dann grand plié. Alles gut. Wie schön, das grand plié bei ihr aussieht….ich bin nicht so weit ausgedreht. Hm………..warum fängt denn die Musik jetzt schon an? Sie hat doch noch gar nicht das Ende der Übung……..hat sie wohl, ich bin nur wieder abgedriftet! So ein Mist. Egal, ich Punkte jetzt mit Ausdruck! Jawohl………………nicht verkrampfen, verdammt! Wieso spannt sich meine Beinmuskulatur eigentlich nur dann an, wenn ich auch mein Gesicht anspanne! Hoffentlich sieht mir keiner ins Gesicht………….das sieht bestimmt sehr gruselig aus, mal die anderen anschauen…..gut, die anderen sehen auch gruselig aus…………………………………………………………
Mein Trikot ist ja schon ganz nass, ich hab mich an der Stange völlig verausgabt. Noch 45 Minuten. Was? Na gut, Zähne zusammen beißen. Das Tombié in der Mitte. Das kenn ich! Juhu! Der erste Durchgang war ja schon mal nicht schlecht…….ich bin gar nicht umgefallen und es sieht auch gar nicht mehr so schrecklich aus…..also für einen Nicht-Tänzer mein ich. Euphorie! Jetzt bin ich eine Ballerina! Als nächstes die Kombination mit den Drehungen aus der Ecke. Neue Arme? Ist ja jetzt kein Problem, jetzt kann ich ja Ballett! „Die erste Gruppe bitte“. Da mach ich doch gleich mal mit. Am besten ich stell mich auch in die Mitte, dann können die anderen von mir abschauen! ……………………Alles schief gelaufen, versteh ich jetzt nicht. Beinahe hätte es mich total hingelegt und ich hätte gleich noch ein paar meiner Mitschüler mitgerissen, wie eine Bowlingkugel. Ich werde niemals eine Ballerina sein! Ich bin so schlecht
16 Changements. Wirklich? Aber ich bin doch noch so jung!…………..Ging ja. 16 Changements und dann noch 8 échappés hintendrein. Das geht jetzt bestimmt auch…….Puh, die ersten 8. Ich kann nicht mehr. Die zweiten 8. Sauerstoff, pumpt doch mal jemand Sauerstoff ins Gehirn. Hallo? Herz?…8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1………..Dr. Sommer bitte ins Studio Amsterdam…………wir brauchen einen Arzt………………….wo bleibt der verflixte Krankenwagen………………….Langsam bekomme ich wieder Luft. Wie können diese Balletttänzer nur soviel springen. Ich sterbe ja schon bei den Lulu- Sprüngen. Wird vielleicht noch…….stolz bin ich schon, dass ich durchgehalten habe. Na klar mach ich jetzt noch die großen Sprünge durch die Diagonale. …… Aufgeben? Das wär ja noch schöner!
Vier Menschen sind in einem Raum, an ihren Backen zeichnet sich ab, dass sich ihre Zungen durch die komplette Mundhöhle bewegt.
Musiktheorie. Wir sprechen über Kadenzen. Wir bestimmen die leitereigenen Dreiklänge von Dur und Moll und hören den Unterschied zwischen natürlich, harmonisch, melodisch und Zigeunermoll. Für den Leihen:
Natürlich : Ganz „Normales Moll“,
Harmonisch: Der Siebte Ton der Tonleiter wird zu einem Leitton für den Achten.
Melodisch: Ein bißchen „Shikedim“
Zigeuner: Ein bißchen mehr „Shikedim“.
Außerdem hören wir uns „Scheiden tut weh“ in Es-Dur, C-Dur und F-Dur an. Die verschiedenen Tonarten verbreiten unterschiedliche Stimmungen. Es- Dur klingt beispielsweise sehr stark und heroisch. Wir stellen fest, dass man auf dem Klavier diese Unterschiede nicht so wirklich hören kann. Das liegt daran, dass Klaviere „wohltemperiert“ gestimmt sind. Das heißt, damit man alle Tonarten auf dem Instrument spielen kann, werden Fehlklänge akzeptiert. Diese Fehlklänge, die vor allem den Zusammenklang von Tönen betreffen, sind jedoch auf dem Klavier so ausgeglichen verteilt, dass sie akzeptabel sind. Einen reinen Zusammenklang von Tönen findet man beispielsweise bei Streichinstrumenten, deswegen werden hier die unterschiedlichen Stimmungen der verschiedenen Tonarten deutlicher. Am Ende der Stunde haben wir uns dann noch praktisch mit dem Dur-Dreiklang und seinen Umkehrungen beschäftigt. In drei Gruppen druften wir die verschiedenen Töne eines Dur-Dreiklangs singen und konnten dadurch die verschiedenen Umkehrungen des Dreiklangs bauen und ein Gespür dafür bekommen.
Vier Menschen sitzen in einem Raum und fahren sich genüsslich mit ihrer Zunge über Ober- und Unterlippe.
Jetzt fragen sich alle: Was soll das eigentlich mit diesen vier Menschen, die in einem Raum sind und diese komischen Zungenspielchen treiben?
Naja, das war Sprecherziehung.